In vielen Unternehmen ist es üblich, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in dessen Freizeit eine Nachricht schreibt. Oft stecken personelle "Notfälle" dahinter: Ein Kollege ist ausgefallen und nun muss schnellstmöglich Ersatz her, ein wichtiges Meeting steht an und muss organisiert werden oder ein Großauftrag erfordert mehr Arbeitskräfte. Die Gründe für Arbeitgeber sind vielfältig, den Arbeitnehmer aus der Freizeit zu holen. Arbeitnehmer, die dann eine WhatsApp-Nachricht oder eine SMS vom Chef erhalten, denen erschleicht nicht selten ein mulmiges Gefühl, denn sie wissen, jetzt kommt Arbeit und das, obwohl sie eigentlich schon den gesamten Tag verplant hatten. Und nun stellt sich für viele Arbeitnehmer die Frage: Muss ich eigentlich die Nachricht von meinem Chef lesen?
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LAG Schleswig-Holstein: Nachrichten können ignoriert werden
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat nun klar und eindeutig auf die Frage nach der Erreichbarkeit des Arbeitnehmers in dessen Freizeit entschieden: Der Arbeitnehmer kann die Nachricht des Chefs in seiner Freizeit ignorieren ohne Konsequenzen zu befürchten und muss diesem auch nicht antworten.
Notfallsanitäter erhielt Abmahnung und klagte
Dem Fall zugrunde liegt eine Klage eines Notfallsanitäters, der vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein in Berufung ging und Recht bekam. Dieser wurde in seiner Freizeit von seinem Chef wegen einer kurzfristigen Dienstplanänderung kontaktiert, war aber in zwei Fällen via SMS und via Telefon sowie auch einmal via E-Mail nicht erreichbar gewesen. Er erschien wie vorab im ursprünglichen Dienstplan festgelegt zu seiner Schicht, verpasste aber die vom Chef kurzfristig geänderte Schicht, da er für diesen in seiner Freizeit nicht erreichbar gewesen war.
Daraufhin ermahnte ihn der Arbeitgeber zunächst. Später erhielt der Arbeitnehmer eine Abmahnung. Für den Arbeitgeber war das Verhalten des Arbeitnehmers nicht vertretbar, da er unentschuldigt fehlte. Der Arbeitnehmer zog daraufhin vor Gericht.
Arbeitsgericht gab dem Arbeitgeber zunächst Recht
Der Notfallsanitäter klagte beim Arbeitsgericht (ARBG). Dieses gab dem Arbeitgeber Recht, woraufhin der Sanitäter in Berufung ging. Das Landesarbeitsgericht sah die Sache ganz anders und entschied im September 2022 in seinem Urteil (Az.: 1 Sa 39 öD/22) zugunsten des Notfallsanitäters.
Arbeitgeber muss mit verspätetem Lesen des Arbeitnehmers rechnen
Gemäß dem LAG muss ein Arbeitgeber mit einem verspätetem Lesen der Nachrichten durch den Arbeitnehmer rechnen. Erst mit Aufnahme der Tätigkeit muss die Nachricht des Chefs gelesen werden, denn das gehört zur Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer ist also verpflichtet, alle die ihm vom Chef in der Freizeit geschickten Nachrichten, bei Arbeitsaufnahme zu lesen. Arbeitnehmer, die in ihrer Freizeit die Nachrichten ihres Chefs ignorieren, verhalten sich nicht treuwidrig gegenüber dem Arbeitgeber und dem Unternehmen.
Arbeitnehmer haben Recht auf Nichterreichbarkeit
Jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Nichterreichbarkeit, das neben dem Gesundheitsschutz zum Persönlichkeitsschutz zählt. Wie das Gericht erklärt, kann jeder Mensch selbst in seiner Freizeit entscheiden, mit wem er sprechen möchte und für wen er erreichbar sein möchte. Dies ist ein Persönlichkeitsrecht, das vom Chef auch nicht untergraben werden darf. Im Falle des Notfallsanitäters musste der Arbeitgeber die Abmahnung aus der Personalakte entfernen, da er seine Arbeitspflicht nicht verletzt hatte.